Amraser Tracht
Die Beschreibung einer Lithografie


Es war ein unwahrscheinlicher Glücksfall, dass Ende Dezember 2011 die Schützenkompanie Amras in Bozen eine handkolorierte Lithografie eines Trachtenpaares mit dem Schloss Ambras im Hintergrund erwerben konnte.

Es handelt sich um dieselbe Lithografie, welche Univ.-Prof. Dr. Franz-Heinz Hye im „Amraser Boten“ Nr. 3/2000 beschreibt und die, allerdings nur in Schwarzweißdruck im Innsbrucker Stadtarchiv verwahrt wird. Sie wurde von Peter Paul Kirchebner gezeichnet, der am 29. Juni 1812 in eine traditionelle Axamer Künstlerfamilie hineingeboren wurde. Peter Paul Kirchebner war ein Ausnahmetalent, das schon mit 13 Jahren Ölbilder kopierte. Noch 1925 beschloss die Tiroler Landschaft (Landtag), ihm ein Stipendium an der Münchner Akademie zu gewähren. Er studierte dort 1826 – 1828 und vervollständigte seine Kenntnisse in Wien und (im damals österreichischen) Venedig. Kirchebner verdiente seinen Lebensunterhalt mit der Anfertigung von Portraits, Genre- und religiösen Tafelbildern und Vorlagen für Lithografien. Er war einer der bekanntesten Biedermeiermaler Tirols. Peter Paul Kirchebner starb bereits mit 34 Jahren, am 4. September 1846, in Fügen. Er hinterließ ein beachtliches Werk, das in privaten Sammlungen und mit einigen Werken im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum verwahrt wird. 1)

Hye berichtet im zitierten Artikel, dass die Lithografie mit dem Titel „Bei Innsbruck“ von Josef Schöpf  gedruckt wurde, der von 1834 bis 1855 in Innsbruck tätig war.
Der aufmerksame Betrachter wird in der linken unteren Ecke des Bildes eine Inschrift „Nach P.P. Kirchebner“ bemerken. Das ist kein Widerspruch. Das hängt mit der aufwändigen Technik des Steindruckes zusammen.
Der Lithograf übertrug das Bild originalgetreu in mühevollster Kleinarbeit mit Federn und Schabern seitenverkehrt auf eine absolut plane Kalksteinplatte mit der dann mittels einer Steindruckpresse unter hohem Druck eine verhältnismäßig geringe Anzahl auf geeignetes Papier übertragen werden konnte. 2)
Der Kunsthistoriker Dr. Carl Kraus (wissenschaftlicher Leiter der Bozner Kunstauktionen) datiert das Blatt auf 1835, was angesichts der frühen künstlerischen Reife und des frühen Todes von Kirchebner durchaus plausibel ist, und das auch in diesem Jahr von Schöpf gedruckt worden sein könnte.
Das ganz Besondere ist jedoch die Handkolorierung, die die bisherige Annahme beweist, dass die ursprüngliche Farbe des Amraser Rockes tatsächlich braun war.

Über welche Quellen die Vorfahren der Schützenkompanie und der Musikkapelle Amras verfügten, dass sie diese Tracht, wie in der Chronik der Musikkapelle zu lesen ist, als „Sonnenburger Tracht“ bezeichnet haben, ist dem Verfasser dieser Zeilen nicht bekannt.
Der Name "Sonnenburg"  1267 Suneburch, 1319 Suonenburch, 1321 Sunnburch  ist nach Prof. Dr. Karl Finsterwalder, Innsbruck, eine Ableitung aus dem Altdeutschen "Suona" = Gericht. Die Sonnenburg, die einst im Bereich der jetzigen Autobahnausfahrt Innsbruck-Süd stand, war lange der erste Sitz des gleichnamigen Landgerichtes.
Die Landgerichte in Tirol waren bis zu ihrer Auflösung 1849 nicht nur, wie man auf Grund des Namens glauben möchte, für die Rechtsprechung in Zivil- und Strafrechtsverfahren, sondern auch für die öffentliche Verwaltung samt Steuereinhebung und öffentlicher Sicherheit und die Stellung der Aufgebote für die Landesverteidigung zuständig. Auch die Abgeordneten für den 4. Stand wurden von den Landgerichten in den Landtag entsandt.
In der Zeit, in der dieses Bild geschaffen wurde, umfasste das Landgericht Sonnenburg 20 Gemeinden: Wilten, Amras, Aldrans, Sistrans, Lans, Igls, Vill, Patsch, Mutters, Natters, Götzens, Birgitz, Axams, Grinzens, Rothenbrunn (Sellrain), Gries im Sellrain, St. Sigmund im Sellrain, Kematen, Völs und Hötting. 3)
Wurde wirklich im gesamten Verwaltungsbezirkes des Sonnenburger Gerichtes die gleiche oder eine ähnliche Tracht getragen, wie sie am beschriebenen Amraser Bild dargestellt ist?  

Dieser Meinung waren offensichtlich auch die Axamer, denn nach der Chronik der Musikkapelle Axams wurde 1922 von der Schützenkompanie und von der Musikkapelle eine neue Festtagstracht nach einem Bild von Peter Paul Kirchebner angenommen, was ja nahe liegt, weil der Künstler ein berühmter Sohn der Gemeinde war. 
Auf Anfrage bestätigte der Hauptmann der Schützenkompanie Axams Mag. Christian Holzknecht, dass unsere Vermutung stimmt. Die Axamer Tracht wurde ebenso wie jene der Amraser nach der beschriebenen Lithografie gestaltet.
Der Schützenmajor Georg Bucher, Unterkommandant bei den Freiheitskämpfen 1809 und Hauptmann der Schützenkompanie Axams, trägt auf seiner einzigen bekannten Darstellung einen grünen Rock; daher auch die Rockfarbe der Axamer Tracht.   

Die Amraser (Musik und Schützen) tragen die historische Volkstracht wieder seit dem Jahr 1929.

Hauptmann Herbert Schuh hat für dieses für Amras wichtige Bilddokument die Kosten übernommen und schenkt es seiner Kompanie, die ihm dafür ihren großen Dank ausspricht.

1) Österreichisches Bibliographisches Lexikon 1815 – 1950, Bd. 3 (Lfg. 14, 1964), S. 339
2) http://de.wikipedia.org/wiki/Lithografie , 28.1.2012
3) Dr. Franz Rosenkranz, Chronik der Schützenkompanie Wilten